Herbert begleitet mich bis Köln: Dafür hat er mindestens ein Mittelgebirge in meinem Brett!
Der Zug hat natürlich Verspätung. Hungrig packen wir unsre Brotchen aus. Meine Reisetasche steht auf dem Platz der Vierersitzgruppe mir gegenüber/Gang.
Der Zug wird voller, ein nicht mehr ganz junger Mann – ein Schrank von einem Kerl – kommt den Gang lang auf mich/uns zu und schaut sich nach einem Sitzplatz um. Ich lächle ihn an und frage ihn gestisch, ob ich die Tasche für ihn wegräumen soll, damit er sich dahin setzen kann. Er winkt aber ab und setzt sich schräg gegenüber.
Als ich (Idiotin) ihn nochmal freundlich ankucke bricht es aus ihm heraus: Was ich doch für eine asoziale Person sei, es wäre verboten eine Tasche auf einen Sitz zu stellen, deswegen ginge es so bergab mit diesem Land…usw usw. Völlig perplex erinnere ich ihn daran, dass ich doch im Begriff war die Tasche für ihn zu räumen.
Nichts beruhigt ihn. Herbert mischt sich ein, es wird immer lauter und unangenehmer. Ein älterer Mann kommt zu dem Zeterer und bittet ihn Ruhe zu geben. Hilft auch nix. Er macht weiter, erhebt sich mehrmals drohend von seinem Sitz und ich habe Gedanken von Faustschägen und Messerattacken. Er hört nicht auf. Aggressiv beschimpft er uns weiter- irgendwann rutscht mir leider raus, er solle sich in die Psychiatrie verziehen.
Auch nicht fein, ich weiß.
Langsam haben die umsitzenden Mitreisenden genug von seinem Gebaren, und äußern das auch durch verstärkte Unruhe oder halblaut geäußerten Missmut. Schließlich geht er ein paar Plätze weiter – die Nächsten mit seiner kruden Sicht der Dinge beharken.
Aber oh Wunder, wir bekommen offene Solidaritätsbezeugungen: Ein junges,schwarzes Paar hält ebensowenig von dem Kerl, wie wir, und sagt uns das auch. Mehrmals. „Er hat zuviele Emotionen.“ meint sie noch traurig zu mir beim Rausgehen.
Hört, hört: sympathy for the devil!
Ich bin nicht so mitfühlend. Die Vorstellung auf einen körperlichen Angriff reagieren zu müssen ruft bei mir nur Feindbild hervor. Pardon. Aber auch andere Reisende, die diesen Streit mitanhören mussten, trösten uns mit aufmunternden Worten nach dem Motto:
„dem ist nicht mehr zu helfen.“ Wir fühlen, dass wir nicht allein sind in unsrer Wahrnehmung, in unsrer Haltung. Und alle machen einen Bogen um den Kerl.
Der Querulant hat sich isoliert — aber drinbleiben wollten wir auch nicht …